Schweigerecht

Seit Abschaffung der Folter und des Inquisitionsprozesses darf der Beschuldigte in Deutschland schweigen. Es gilt der sog. nemo-tenetur-Grundsatz, der besagt, dass niemand verpflichtet ist, durch aktives Tun zu seiner Strafverfolgung beizutragen. Niemand muss seine Unschuld beweisen. Es ist vielmehr Aufgabe der Ermittlungsbehörden, dem Beschuldigten eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit nachzuweisen. Der beim Anblick eines uniformierten Polizeibeamten verspürte innere Zwang, sich zu rechtfertigen, bringt oftmals die vielversprechendste Verteidigungsbastion zum Einsturz. Zum Beispiel kann die spontane und arglose Erklärung am Unfallort, man sei wohl kurz am Lenkrad eingenickt, neben einer Geldstrafe die Fahrerlaubnis kosten.

Es mag vielfach sinnvoll sein, Entlastendes vorzutragen. Zuvor sollte aber immer geprüft werden, wie der konkrete Tatvorwurf lautet und – ganz wichtig im Verkehrsstrafrecht – wem gegenüber der Vorwurf erhoben wird. Das Risiko, sich selbst durch unbedachte oder missverständliche Aussagen zu belasten, ist für den Beschuldigten unüberschaubar, weil er gar nicht weiß, worauf es im Strafprozess ankommt. Er sollte sich daher IMMER auf sein Schweigerecht berufen, bis er Gelegenheit hatte, sich mit einem Verteidiger zu beraten. Das gilt unabhängig davon, ob er von der Polizei – pflichtgemäß – über sein Schweigerecht belehrt wurde oder nicht.

Gerade auch in Verkehrsstrafsachen ist dieser Grundsatz von hoher Bedeutung. Strafanzeigen werden nämlich häufig als sog. Kennzeichenanzeigen gegen „Unbekannt“ erstattet, weil der Anzeigeerstatter den Verkehrsteilnehmer, der ihn genötigt, gefährdet, beleidigt oder sein Auto beschädigt haben soll, ja nicht kennt. An dieser Stelle kommt eine andere alte Rechtsregel zum Tragen. „Nulla poena sine culpa“ bedeutet, dass niemand ohne Schuld bestraft werden darf. Es kommt also nicht auf die Haltereigenschaft an. Nur der Fahrer kann Täter solcher Vergehen sein. Kann der Anzeigeerstatter den Fahrer aber nicht identifizieren, weil er ihn nicht richtig sehen konnte oder sich im Eifer des Gefechts das Gesicht nicht eingeprägt hat, so wird es für die Ermittlungsbehörden schwer, einen Täter ausfindig zu machen. Dies gelingt oft nur dadurch, dass sich der Beschuldigte, um Kopf und Kragen redet. In Verkehrsstrafsachen erfolgt deshalb schon nach überraschend kurzer Zeit die Kontaktaufnahme der Polizei mit dem Fahrzeughalter. Dieser ist in diesem Verfahrensstadium noch Zeuge und soll als solcher den Fahrer benennen. Aber auch der Zeuge darf in solchen Situationen schweigen. Er hat das Recht, die Aussage zu verweigern, wenn die Gefahr besteht, dass er sich selbst belasten könnte. Räumt der Halter seine Fahrereigenschaft ein, so wird er vom Zeugen zum Beschuldigten und das Kind ist in den Brunnen gefallen.

Übrigens: Auch in Bezug auf nahe Angehörige gilt ein umfassendes Schweigerecht. Niemand muss also seinen Ehepartner oder seine Kinder als Fahrzeugführer benennen. Im Gegenteil darf er sie schützen!

Es gilt daher völlig ausnahmslos der Grundsatz, gegenüber der Polizei nur Personalien anzugeben. Alles weitere kann in Ruhe und ggf. nach Akteneinsicht gemeinsam mit einem Anwalt entschieden werden.